110

Kolumne

Als ich nach dem 19. Februar erstmals davon hörte, dass Notrufe angesichts des rechtsextremistischen Terroranschlages in Hanau nicht durchgingen, sondern Anrufer nur das Besetztzeichen hörten, dachte ich zunächst: „Das beste System kommt irgendwann an seine Grenzen. Sicherlich haben sehr viele Menschen gleichzeitig angerufen.“ Ohne genaueres zu kennen, bin ich naiver Weise davon ausgegangen, dass die zahlreichen Leitungen und Weiterleitungen unter der 110 überlastet gewesen seien.

Seitdem ich aber erfahren habe, dass überhaupt nur zwei Leitungen in Hanau an den Polizeinotruf angeschlossenen sind, es keine Weiterleitungen gibt und in der Nacht des Anschlags wohl nur ein Polizeibeamter die Anrufe entgegennehmen konnte, bin ich fassungslos. Das durfte es im Jahr 2020 unter solch einer wichtigen Nummer doch nicht mehr geben! Wer sicherlich nichts dafür kann, sind die Polizisten vor Ort, die schon jahrelang die personellen und sachlichen Sparmaßnahmen der Landesregierung ausbaden müssen. Seit 1999 wird das zuständige hessische Innenministerium mit Volker Bouffier, Boris Rhein und aktuell Peter Beuth von der CDU geführt. Dass bei der Polizei Hanau nicht schon längst in eine moderne Telefonanlage investiert wurde, die sicherstellt, dass mehr als zwei Anrufe gleichzeitig angenommen werden können, ist ein politischer Skandal auf Landesebene.

Nahezu typisch ist es, dass sich nun die örtliche CDU und mancher Landtagskollege sich vor den Innenminister der eigenen Partei wirft und den offensichtlichen Fehler herunterspielt. Mein Dank gilt Oberbürgermeister Claus Kaminsky, der vergangene Woche klare Worte gegenüber Innenminister Beuth richtete und Konsequenzen forderte. Mit Kommunalwahlkampf hat das nichts zu tun. Wenn es Missstände gibt, die wohlmöglich mit zum Verlust eines Menschenlebens beigetragen haben, müssen diese auch angesprochen werden, zu jeder Zeit.

 

 

Erschienen im Hanauer Anzeiger am 06.02.2021