Was Eltern seit Monaten leisten, ist enorm. Nicht nur die Erziehung, sondern auch den Unterricht der Kinder neben dem Job zu bewältigen, ist alles andere als einfach. Familie und Beruf müssen endlich wieder vereinbar sein, sonst droht ein Rückschritt in die 50er-Jahre. Deshalb muss die schulische „Notbetreuung“ ergänzend zu den bisher behutsamen Schulöffnungen und zum Fernunterricht umgehend für alle Kinder von Berufstätigen ausgebaut werden.
Nun aber entgegen allen vorherigen Ankündigungen und Hygienekonzepten die vollständige Öffnung der Grundschulen noch vor den Ferien übers Knie zu brechen, halte ich für falsch. Der Kultusminister mag solch einen flächendeckenden Feldversuch spannend finden, ich halte es für falsch tausende Lehrkräfte und über 200.000 Grundschüler zu Versuchskaninchen zu machen. Ein Virologe scheint dies gutzuheißen, ein anderer nicht. Mein Eindruck ist, wir wissen noch zu wenig über dieses Virus, um ganze Klassen stundenlang in einen Raum zu stecken. Aus Sicht des Kultusministeriums mag es Sinn machen, dies zwei Wochen vor den Sommerferien zu testen. Sollte es zu einer Infektionswelle an den Schulen kommen, muss keine Schule geschlossen werden, weil ohnehin alle in die Ferien gehen. Aber bedenkt man auch, dass Familien nach Monaten zuhause mehr als urlaubsreif sind? Wenn der Feldversuch misslingt, werden viele Familien mindestens die ersten zwei Wochen der Sommerferien in Zwangsquarantäne verbringen müssen. Besonnenheit und Vorsicht sind gefragt, nicht blinder Aktionismus.
Ganz zu schweigen von den Schulen, die jede Woche neu Unterricht planen müssen und davon zuerst aus der Zeitung erfahren, anstatt sie einzubeziehen. Eine planvolle Öffnung der Schulen möglichst nah am Regelbetrieb ist erstrebenswert, kann aber meiner Meinung nach verantwortungsvoll erst nach den Ferien passieren. Eltern brauchen Verlässlichkeit und kein neues Experiment, das böse enden kann.
Kolumne im Hanauer Anzeiger