Gebt Kindern ausreichend Zeit zum Lesen. Das ist eine zentrale Forderung der aktuellen Internationalen Grundschul-Leseuntersuchung (IGLU). Während Schülerinnen und Schüler in Deutschland 87 Stunden pro Jahr speziell mit Leseunterricht und Leseaktivitäten verbringen, liegt der internationale Mittelwert bei 156 Stunden. So verlässt laut Studie jedes fünfte Kind die Grundschule, ohne richtig lesen zu können. Das spricht nicht dafür, dass die derzeitigen Sprachförder- und Lernkonzepte greifen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass in anderen Ländern die Grundschule nicht um 12 oder 13 Uhr endet, sondern dort Ganztagsschulsysteme bestehen.
Es ist daher erforderlich, dass die Arbeit der Grundschulen aufgewertet wird und mehr echte Ganztagsschulen geschaffen werden. Das bedeutet auch, dass Gebühren für den Nachmittagsunterricht abgeschafft und Lehrkräfte unterstützt sowie aus- und fortgebildet werden müssen. In den letzten vier Jahren sind in Hessen jedoch nur fünf neue echte Ganztagsgrundschulen geschaffen worden. Im dem Tempo dauert es weitere 1000 Jahre bis alle hessischen Grundschulen echte Ganztagsschulen sind. Angesichts dieses Ausbautempos braucht Hessen einen Masterplan mit konkreten Zielvorgaben, vor allem aber endlich bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau.
Doch davon ist unter der derzeitigen Landesregierung nichts in Sicht. Die Landesregierung sieht zu, wie die Schere zwischen den Kindern, deren Eltern helfen oder sich Nachhilfe und Nachmittagsbetreuung leisten können, und denen, die auf schulische Förderung angewiesen sind, immer weiter auseinandergeht.
Mit reinen Betreuungsangeboten, wie wir sie derzeit in den Nachmittagsstunden an Grundschulen vorfinden, vergeben wir leider wertvolle Chancen auf individuelle Förderung und bessere Leistungen. Auch die Kosten, die für die Eltern beim Pakt für den Nachmittag anfallen, sind kontraproduktiv. Ein wesentlicher Baustein zum Abbau von Chancenungleichheit ist deshalb der flächendeckende Ausbau der kostenfreien und bedarfsorientierten Ganztagsbeschulung. Die schwarz-grüne Landesregierung setzt mit ihrem Betreuungspakt für den Nachmittag die falschen Akzente.