Die Leseleistungen der Viertklässler in Deutschland haben sich seit 2001 kaum verändert. Im internationalen Vergleich sind sie abgerutscht und nun nur noch im Mittelfeld, denn im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist es in Deutschland nicht gelungen, die Schülerinnen und Schüler zu besseren Leserinnen und Lesern zu machen. Das zeigt die neue Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (iglu).
Ein wenig erfreulicher Anstieg ist laut Studie jedoch bei den sozial bedingten Leistungsunterschieden zu verzeichnen. Nach Ansicht der iglu-Autoren gelingt es den deutschen Grundschulen in ihrer momentanen Form weder für mehr Bildungsgerechtigkeit noch für ein besseres Leistungsniveau zu sorgen. Denn die Herkunft der Schülerinnen und Schüler entscheidet noch immer massiv über ihren Bildungserfolg. In Familien, in denen Eltern Berufe mit höherer Qualifikation ausüben und bei denen es mehr Bücher gibt, können die Grundschülerinnen und Grundschüler deutlich besser lesen. Das hat auch Auswirkungen auf die weitere Schullaufbahn, denn schwache Leistungen im Lesen beeinträchtigen das Lernen in der Schule. Gegen diese soziale Ungleichheit muss endlich etwas unternommen werden, damit alle die gleichen Bildungschancen haben
Die soziale Spaltung bei den Bildungschancen lässt sich auch daran ablesen, dass die Chance einer Gymnasialempfehlung steigt, je besser die sozioökonomische Stellung der Eltern ist und das völlig unabhängig von den Leistungen und kognitiven Fähigkeiten des Kindes. Der Abstand zwischen leistungsstarken und leistungsschwächen Kindern vergrößere sich zunehmend.
Der Studienautor Wilfried Bos kritisiert explizit, dass die Bundesländer zu wenig dagegen unternommen haben. Er beanstandet auch, dass es zwar mehr Ganztagsschulen gebe, diese aber oft nur reine Betreuungseinrichtungen sind.
Auch in Hessen sind Ganztagsschulen am Nachmittag eher Betreuungs- als Lerneinrichtungen, dabei könnten sie mehr sein. Wir brauchen Schulen mit altersgerechter Rhythmisierung und mit Förderkonzepten, die allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden. So kann bei entsprechenden Rahmenbedingungen jedes Kind individuell gefördert werden. Echte Ganztagsschulen tragen der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler stärker Rechnung, weil Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Voraussetzungen mehr Zeit miteinander verbringen und länger gemeinsam lernen. Sie bieten auch bessere Bedingungen für die Umsetzung integrativer und inklusiver Beschulung. Kinder und Jugendliche profitieren nachweislich durch die Teilnahme an ganztägigen Angeboten nachhaltig im Sinne ganzheitlicher Bildung und werden in ihrer Entwicklung von kognitiven und sozialen Kompetenzen gefördert. Pflichtunterricht am Nachmittag eröffnet gerade benachteiligten Kindern Chancen, die sie in der Halbtagsschule nicht haben.
Damit sich mehr Schulen auf diesen Weg machen, brauchen wir mehr Ressourcen für die Schulen sowie Beratung, Fortbildung und Unterstützung für die Lehrkräfte. Auch brauchen wir endlich einen Masterplan mit konkreten Zielvorgaben. Schulpolitik muss stärker vom Kind aus gedacht werden, damit Bildungsgerechtigkeit hergestellt werden kann. Alle Schulen müssen in die Lage versetzt werden, jedes Kind zu einem Abschluss zu führen und dabei die individuellen Bedürfnisse und Lernvoraussetzungen berücksichtigen.
Ein wesentlicher Baustein zum Abbau von Chancenungleichheit ist der flächendeckende Ausbau der kostenfreien Ganztagsbeschulung. Zudem muss Bildung von der Kita bis zur Hochschule bzw. zum Meister gebührenfrei sein, nur so erhalten alle Kinder die gleichen Chancen.